Galerie Hilde Leiss

26. Februar 2019 | Hamburg

Dirk Rose über Andreas Homberg

Guten Abend liebe Gäste,

und vielen Dank, liebe Cornelia Börngen, für die schöne Einleitung in das Werk von Andreas Homberg, dessen Bilder - wie mir scheint - eine große Nähe zu musikalischen Kompositionen haben. Ich habe den Maler und seine Arbeit vor 26 Jahren kennengelernt - damals war Andreas gerade mit seiner Familie nach Hamburg gezogen, kam in meine Galerie und zeigte mir seine Bilder. Er war in der DDR ein anerkannter Künstler, und obwohl ich mich seit Mitte der sechziger Jahre recht intensiv mit der Kunst der DDR und des „Ostblocks“ beschäftigt habe, kannte ich seine Arbeit noch nicht, und war bei dieser Begegnung spontan von der malerischen Qualität seiner Bilder fasziniert. Später habe ich dann mehrfach Ausstellungen und Ausstellungsprojekte mit ihm realisiert und lebe seitdem zuhause mit einigen seiner Werke. Nach so vielen Jahren kenne ich jeden Farbtupfer, aber ich ertappe mich, daß ich immer wieder gebannt davor stehe.

Eines meiner Lieblingsbilder dieser Ausstellung ist das Bild „Begegnung am Meer“, das Hilde Leiss auch für die Einladungskarte ausgewählt hat. Da sollten wir uns einen Augenblick Zeit nehmen, um herauszufinden, was so schön an Hombergs Bild ist. Es ist im Grunde genommen eine ruhige, im Aufbau traditionelle Landschaftskomposition. Den Rhythmus geben die farbigen Wolken, der Lichtschein über dem tiefen, fernen Horizont und die beiden Figuren vor. Eine anscheinend abendliche Szene, die von einem letzten Licht beleuchtet wird. Homberg nennt das Bild „Begegnung am Meer“: am sonst menschenleeren Strand sehen wir zwei angedeutete Personen - zwischen denen malerisch eine große Spannung aufgebaut ist; man weiß nicht, ob bedrohlich oder erfreulich. So farbdifferenziert und kontrastreich in den dunklen Tönen und im Vergleich zu klassischen Meerstücken überraschend formuliert… wie neu erfunden. Homberg benutzt hier unterschiedliche Blautöne, manchmal ein Ultramarin, ein tiefes Himmelblau, manchmal Preußischblau, sogar ein Lila, die er hier gegeneinander setzt. Die ähnlichen Töne scheinen sich gegenseitig zu steigern, bis das Bild zu leuchten scheint. Die verschiedenen Blaus im Bild verändern sich im Auge des Betrachters und erzeugen einen eindringlichen Farbklang. Eine rätselhafte Intensität lenkt den Blick des Betrachters ins Bild hinein; obwohl es ganz flächig gemalt ist, und durch Verzicht auf perspektivische Elemente auf alle Raumillusion verzichtet. Uns erscheint eine harmonische Abendstimmung des tiefen, dunklen Himmels.

Da frage ich mich: Wie hat der Maler das gemacht?
Vielleicht helfen uns die Theorien der modernen Malerei weiter, die in den zwanziger Jahren geschrieben wurden. Der Stuttgarter Maler Adolf Hoelzel hat dazu grundsätzliche Überlegungen verfasst. Ich glaube zwar nicht, daß seine Schriften an den Akademien in der DDR Lehrstoff waren, aber ich zitiere ihn hier, weil ich finde, daß er - auch für den Laien - sehr verständlich ist. Hoelzel verknüpft den Einsatz der Farbe mit der naturgemäß abstrakten Kunst der Musik und schrieb um 1929: „Wir können die Tonarten mit den Namen der einzelnen Farben bezeichnen… Zur Durcharbeitung harmonischer Dreiklänge dienen die simultanen Beeinflussungen… Man kann der durch simultane Beeinflussung virtuell entstandenen Farbe nachgeben und sie bei der Durcharbeitung wirklich ins Bild bringen, oder es bei der virtuellen Beeinflussung bewenden lassen… Je mehr Reichtum aus einfachen Zusammenstellungen hervorgebracht wird, und nahe beieinander liegende Töne eingeführt werden, desto mehr wird durch Vibrieren der Farbe das Bild harmonisch sein… Die Phantasie wird traumartig erregt.
Ähnlich empfand der vor den Nazis geflüchtete Münchner Maler Hans Hofmann. Er arbeitete im Exil ebenfalls an einer Theorie: „Da jedes dieser Gesetze (von Farbe und Form) sich in einem eigenen Rhythmus bewegt, führt ihr Zusammenspiel zu einem bildnerischen Einklang, der der Harmonie und dem Kontrapunkt der Musik vergleichbar ist.“ Übrigens äußerte sich auch der Maler Max Beckmann zu dem Thema der Farbe. Obwohl er sonst in seinen Briefen eher derb auf seine eigene Malerei eingeht, formulierte er dieses eine Mal geradezu poetisch: „Die Farbe…(ist) der merkwürdigste und prächtigste Ausdruck des unerschöpflichen Spektrums der Ewigkeit.“ Mir erscheinen Hombergs Bilder immer als besonders schön durchkomponiert. Die Kunsthistorikerin Hela Baudis betitelte die Homberg-Ausstellung, die sie im Museumsverein Schwerin kuratierte, sogar als „Klang der Farben“.

Blicken wir auf Hombergs Biographie, glauben wir auch gleich zu wissen, wo‘s herkommt. Er stammt aus einer Künstlerfamilie und war dadurch von kleinauf mit Kunsttheorie und -praxis vertraut. Der Vater war Maler, der Stiefvater ein bekannter Pianist, Musikwissenschaftler und Professor an der Musikhochschule „Hanns Eisler“. Wie Hombergs langjähriger Freund Klemens Renoldner bemerkte: „Der Maler (ist) aufgewachsen bei heftiger musikalischer Beeinträchtigung im familiären Umkreis…“ Homberg studierte in Dresden, der Stadt, in der der Deutsche Expressionismus geboren wurde, von dessen Mitstreitern und Zeitgenossen einige zu seiner Zeit als Professoren unterrichteten (z.B. Lea Grundig und Wilhelm Rudolph). Alles Voraussetzungen, die ihn zu seiner späteren Meisterschaft führten. Im Rückblick eine konsequente Entwicklung.

Sofort nach dem Studium konnte Homberg als freischaffender Maler leben. Er zog nach Neubrandenburg. Wie er in einem Interview erwähnte, war seitdem ein Schwerpunkt seiner Arbeit das Thema Landschaft, das er nach der Akademiezeit als Befreiung empfand. Er machte viele Reisen ins Ausland, nach Polen und in die Sowjetunion. Besonders oft besuchte er die Ermitage, wo er die Klassiker der Malerei studierte; denn in diesem wohl wichtigsten Museum der Welt sind nicht nur die Meisterwerke von der Renaissance bis zur Neuzeit aufbewahrt (und haben die deutsche Belagerung überstanden), sondern darunter auch die wichtigsten der klassischen Moderne (wie z.B. frühe Arbeiten von Picasso und die Hauptwerke von Matisse). Tatsächlich war seine Künstlerkarriere aber auch von Brüchen und manchmal von Chaos begleitet. 1993 zog er mit seiner Frau Thea und seinem Sohn Stefan nach Hamburg. Seine Themen sind Figurengruppen, Interieurs und Stilleben, aber die Landschaft bleibt ihm wichtig, wie Sie auch in dieser Ausstellung sehen können, die Arbeiten von 2018 und 2019 umfasst.

In dem Bild „Ein gelber Tag“ sehen wir einen Meerblick: einen weiten Horizont, einen gelblichen Himmel im späten Tageslicht, merkwürdige Objekte am Strand, die wir nicht gleich deuten können, und die sich als Boote entpuppen, melancholisch und zugleich dramatisch. Der Maler Delacroix schrieb einmal: „Ein Bild muß in erster Linie ein Fest für die Augen sein: Der Ausdrucksgehalt eines Bildes muß - noch ehe man die Gegenstände erkennt - sich wie ein magischer Gehalt aufzwingen.“ Offensichtlich ist es, wie auch die „Begegnung“, kein nach der Natur gemaltes Bild. Dem Betrachter erscheint es zuerst fremd, und doch glauben wir, eine solche Szene zu kennen. Es ist offenbar eine gemalte Erinnerung.

Obwohl die Bildertitel dieser Ausstellung wie „Elbstrand“ oder „Boote auf dem Bodden“ oft auf konkrete Orte hinweisen, sehen wir keine bloßen topographischen Wiedergaben. Jedem Besucher wird deutlich, daß sich der Maler abgrenzt von den „Plein-Air“-Malern wie z.B. den „Norddeutschen Realisten“. Ganz in Hombergs Sinne äußerte sich der von ihm verehrte Komponist Hanns Eisler in einem Interview. Er sagte sinngemäß: „Wenn ich mich mit dem Äußeren völlig identifiziere, mich einfühle, ihm nachschwebe, na, das ist ganz scheußlich!“

Und Klemens Renoldner schrieb: „Es sind innere Landschaften, Blicke in intime Welten, die wir hier zu sehen bekommen, keine realen Ansichten aus Mecklenburg (oder von der Elbe). Gewiß, manchmal meint man, ein Detail zu erkennen, wie in Traumverarbeitung verwischt mit anderem…“.

Liebe Gäste, das sind alles etwas zerstreute und vielleicht verwirrende Anmerkungen, die mir zum Werk von Andreas Homberg einfallen. Sie erklären aber gar nicht, was das Geheimnis seiner Arbeit ist, warum sie so magisch fasziniert.

Ein sehr guter Freund meines Bruders schrieb mir vor Jahren in einem Gedicht
- satirisch auf mich gemünzt - (ich zitiere hier lieber nur die letzten vier Verse):
„Das ist ein Tag, wie du ihn liebst…
wenn du dir vor dem Bild
Stunde für Stunde
dasselbe Rätsel aufgeben läßt.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit - ich wünsche Ihnen beim Betrachten der Ausstellung viel Vergnügen!
26. Februar 2019,
© Dirk Rose